Tranthar lernt Charrut bei einem Flugmanöver kennen. Dieser leitet den kleinen Dreierverband aus Raumjägern, während der Sternenhändler als einer der beiden Flügelmänner fungiert. Was Charrut nicht weiß ist, dass Tranthar noch nie einen Jäger geflogen hat, sondern nur Beiboote, die am Bug über ein Bremstriebwerk verfügen.

Ausschnitt aus der Sicht von Charrut

Charrut traute seinen Augen nicht. Während Pereth wie er die Drehung bereits absolviert und das Triebwerk gezündet hatte, schoss der Raumjäger mit Tranthar weiter auf den energetischen Tunnel zu. Was ist los mit diesem Anfänger?, dachte er wütend. Ist er zu dumm, um zu begreifen, wie ein Bremsmanöver zu fliegen ist? Erwartet er etwa genauere Anweisungen?

Was sollte er jetzt tun? Charrut wusste aus der Zeit, in der er in der Heimatflotte Tarkans gedient hatte, dass gegenseitiges Vertrauen die Basis eines erfolgreichen Verbands war. Man musste sich unbedingt auf jeden einzelnen Piloten verlassen können. Das eigene Leben konnte davon abhängen. Und unterlief einem der Fahrzeugführer trotzdem ein Fehler, so waren die anderen aufgefordert, diesen auszugleichen.

Er seufzte. Sie mussten Tranthar folgen. Sofort. Und ihn, wenn es sich machen ließ, einholen. Egal was passieren würde. Sonst waren sie nicht würdig, jemals wieder in einem Verband zu fliegen.

„Charrut an Pereth! Bremsmanöver abbrechen und Kurs auf den energetischen Tunnel nehmen“, befahl er mit heiserer Stimme. „Bremsmanöver abbrechen. Ich wiederhole: Bremsmanöver abbrechen.“

Die Bestätigung erfolgte sofort. Er vermutete, dass sein linker Flügelmann, so wie er selbst, in welcher Raumflotte auch immer, Erfahrung im Verbandsflug gesammelt hatte.

„Charrut an Anwärter Tranthar!“, rief er. „Was ist passiert? Warum habt Ihr den Befehl, ein Bremsmanöver auszuführen, ignoriert?“

Auf eine Antwort wartete er vergeblich. Aus dem Helmlautsprecher kam nur statisches Rauschen.

Eben beendeten sie die erneute Drehung und steuerten wieder auf den energetischen Tunnel zu. Tranthars Raumjäger war zwischenzeitlich von der Ortungsanzeige verschwunden. Er musste bereits in das Tunnelsystem eingeflogen sein. Wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb er sich nicht meldete.

Warum?, so fragte er sich plötzlich, hatte er den geordneten Einflug aufgegeben und war dem verschwundenen Raumjäger so schnell gefolgt? Geschwaderehre hin oder her, es war nicht seine Art, für andere Risiken einzugehen. Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt nicht.

Sein Leben hatte bisher zum größten Teil aus Müßiggang, Verschwenden von Geldbeträgen und dem Erobern von Frauenherzen bestanden. Obwohl es ausgefüllt gewesen war, spürte er doch nur eine tiefe Leere in sich.

Das war der Grund, warum er vor Monaten selbst zu der Erkenntnis gekommen war, dass es so nicht weitergehen konnte. Damals beschloss er, eine Raumakademie zu besuchen, um seinem Leben einen Sinn zu geben. Bestärkt wurde er dabei von seiner Schwester Chamah‘ney, die er über alles mochte. Ihr war es auch zu verdanken, dass sein Vater nach einigem Zögern dem zustimmte, in der Hoffnung, dass sich sein Sohn endlich positiv entwickeln würde. Seit dem Beginn dieses Lichtzyklus war er der Akademie beigetreten und die Leere in ihm war kleiner geworden.

Die ersten Ausläufer des energetischen Tunnels huschten an ihnen als dunkelgrün wabernde Nebelfetzen vorbei. Dann überschritten sie die Einflugposition. Der Nebel verfestigte sich zu wolkenartig dräuenden Gebilden, die sich um sie herum auftürmten. Entladungen zuckten durch den Raum und schlugen in die Tunnelwände ein, brachten sie zum Aufleuchten. Kurz darauf brachen dort Eruptionen hervor und füllten die Hälfte des Tunnels, um gleich wieder in sich zusammenzufallen. Die Ortungsgeräte zeigten ein hochenergetisches Chaos an. Eine Orientierung war nahezu unmöglich. Aus dem Helmlautsprecher kamen so laute Störgeräusche, dass er ihn abschaltete. Nur ein schwach energetisch zuckender Punkt war auf dem Schirm zu sehen: Tranthars Raumjäger. Sein Pilot hatte das Schirmfeld eingeschaltet.

Charrut bezweifelte, dass es irgendetwas nützen würde, falls es von einem der Blitze getroffen wurde. Trotzdem schaltete er es ebenfalls ein. Er hoffte, dass auch sein Flügelmann es schon aktiviert hatte. Erreichen konnte er ihn nicht mehr. Sowohl Standard- als auch ST-Gespräche waren nicht mehr möglich. Warnmeldungen zeigten ihm an, dass keine dieser Verbindungen zur Verfügung stand.

Während sie durch den ziemlich geradlinigen Tunnel rasten, sah er, dass sich um Pereths Raumjäger ein Schirmfeld aufbaute. Doch ein greller Blitz von bisher unerreichter Intensität wischte es fort. Er schleuderte das Gefährt gegen die Tunnelwand. Dort wurde es durch eine Eruption in seine Atome zerstäubt.

Kurz beschleunigte Charrut, um den Ausläufern der Explosionswolke zu entkommen, die Pereth zum Verhängnis geworden war. Der Kadettenanwärter war tot, daran bestand kein Zweifel. Trotzdem kam es ihm irgendwie unwirklich vor. Dann wurde ihm bewusst, dass er dabei war, die Realität zu verdrängen.

Ganz unvermittelt wurde Charruts Kehle trocken und er musste schlucken, um sie anzufeuchten. Er spürte das Blut durch seine Adern pulsieren, sein Herz intensiv pochen. Es war ein Flug auf Leben und Tod. Er nahm die Herausforderung an: er gegen den dreimalverfluchten energetischen Tunnel. Es war nicht die Angst, die ihn im Griff hielt. Es war der Drang, besser als sein Gegner zu sein, um zu überleben. Nichts hatte ihn bisher mehr berührt.

Egal, ob er Pereth ins Reich von Licht und Schatten folgen würde oder nicht. Der Moment zählte. Und genau jetzt lebte er intensiver als sein gesamtes Dasein zuvor. Mit einem Ruck schaltete er die Ortung ab.